Meine Ausbildung zur Wing Tsun Trainerin
Wing Tsun Lebenslauf
1. Technikergrad
Im Laufe der nächsten Jahre absolvierte ich nacheinander alle 12 Schülergrade. Je mehr ich lernte, umso mehr wuchsen mein Selbstvertrauen wie auch mein Wunsch, Trainerin zu werden und meine Kenntnisse weiterzugeben.
Ich hatte viel mit und an Männern trainiert und während meiner Trainerausbildung immer wieder festgestellt, dass sich der Unterricht für Frauen von dem für Männer wesentlich unterscheiden muss. Frauen werden anders angegriffen als Männer. Einen Mann interessiert im Training weniger, was er gegen einen würgenden anderen Mann ausrichten kann. Eine Frau wiederum sieht sich eher selten einem Zweikampf mit Fäusten
ausgesetzt.
Also habe ich mein Training für Frauen angepasst und 1995 in unserer Wing Tsun Schule die erste Frauenklasse gegründet.
Zum 1. Technikergrad (Trainer 1) ist folgender Aufsatz entstanden:
>> Mein Wing Tsun LebenslaufERSTE WT-TECHNIKER ARBEIT
MEIN WING TSUN LEBENSLAUF
Jiu-Jitsu-Aikido-ATK-ler Lehrgang am 23.10. 1999
In der Halle verspüre ich plötzlich Unsicherheit. So viele ausgebildete Kampfsportler haben sich hier versammelt, um von mir eine professionelle Einführung in WT zu erhalten. Negative Gedankenmuster alter Zeiten lähmen mich:“ Bin ich wirklich so sehr vom WT überzeugt, dass ich denen noch etwas beibringen kann?? Wie kann ich mich unauffällig aus der Affäre stehlen??“. Zu Oliver, meinem Assistenten und WT Trainingspartner, kommen mir denn auch nur folgende Worte über die Lippen:“ Wir sind in der Höhle des Löwen, die sind hier um uns zu testen, oder um sich zu beweisen, dass ihr Kampfsystem mehr taugt als die anderen.“
Eine gemischte Gruppe von ca. 3O Jiu-Jitsu-, Aikido-und ATK- lern in ihren eindrucksvollen Kampfanzügen hat sich inzwischen eingefunden und wartet gespannt auf den Beginn des Lehrgangs und auf die Referentin: auf mich.
Trotz Unsicherheit und großem Respekt vor der Situation, trete ich mit Mut und Entschlossenheit ohne weiteres Zögern mit festen Schritten in den Raum.
Mit einem leicht verschmitzten Lächeln verkündige ich noch vor der offiziellen Begrüßung- sozusagen als Aufwärmübung – sämtliche Bodenmatten, welche den kompletten Hallenboden bedecken, fortzuschaffen, da diese uns in der realen Selbstverteidigungssituation auch nicht zur Verfügung stehen würden:“ Wenn man hinfällt tut`s halt weh!“
Meine erste Amtshandlung! Sie verschafft mir gleich zu Beginn des Lehrgangs genügend Respekt und Achtung.
Stolz über mich selbst lasse ich meine Vergangenheit Revue passieren. Wann und wie hat sich eigentlich mein Zutrauen an meine Kraft und Stärke so entwickelt?
Dies mit Sicherheit zu beantworten ist mir nicht möglich, in jedem Fall ist es mir in meiner Kindheit und Jugend mit Treffsicherheit gelungen, die eine oder andere brenzlige und demütigende Begebenheit, in der Macht missbraucht wurde, mitzunehmen.
In meiner Kindheit wurde ich z. B. einmal von zwei älteren Jungen aus meiner Schule unangenehm angefasst.
REAKTION: Lähmung, Ohnmacht, Wut.
LÖSUNG: Ich muss mich wehren lernen und mache Judo zusammen mit meiner Freundin für ca. 2 Jahre. Beendet habe ich dies letztendlich weil meine Freundin und ich uns nicht ständig im Schwitzkasten haben mochten, und ich zu der Zeit durch das Judo und im Kampf mit Nachbarskindern genug Selbstbehauptung erlangt hatte.
Um meinem Vater zu gefallen der sich als drittes Kind endlich einen Jungen gewünscht hat, habe ich diese Rolle eingenommen. Umgekehrt hat er in seiner autoritären Erziehungsform (Oberst a. D.) mich dann auch härter angepackt. Daraus habe ich aus der Not eine Tugend gemacht.
Später, als pubertierende Jugendliche, hatte ich drei Begegnungen mit Exhibitionisten, von denen uns damals erzählt wurde, sie wären harmlos. Naiv und dumm kicherte ich mit meiner Freundin an eben diesen „Harmlosen“ vorbei und wir mussten ein ums andere Mal entdecken, dass Erwachsene nicht allwissend sind: Einer verfolgte uns.
REAKTION: Wir wurden schneller, er ebenso. Wir riefen imaginäre Freunde hinter der Mauer. Ich fühlte mich stark genug meine Freundin zu beschützen. Bekam dann aber doch selbst Angst, als die Haustür, an der wir inzwischen angekommen waren, nicht schnell genug zu ging.
LÖSUNG: Polizei angerufen.
Trotz meiner schon vorhandenen bedrohlichen Erfahrungen, schien mich die unerschütterliche Weltanschauung, dass ich unantastbar bin, weiterhin in ihrem Bann zu halten, so dass ich als Studentin Autobahn getrampt bin !!! Für mich heute eine schier unglaublich provozierende Blödheit. Diese zeigte sich unter anderem, dass ich einmal sogar bei zwei Männern eingestiegen bin. Mein damaliger konstanter Begleiter war mein großer Mischlingshund Bingo, der vermeintliche Beschützer. Vermeintlich insoweit, als dass einer meiner Chauffeure nur trocken bemerkte: „Dem Hund schlag ich auf die Schnauze, dann macht der nix mehr und dann bist Du dran!“ Oh. Glück gehabt hatte ich, dass es ihnen reichte, mir nur Angst zu machen, da sie mich wie abgesprochen abgeliefert hatten.
REAKTION: versteckte Panik
LÖSUNG: mit gespielter Bestimmtheit auf den Treffpunkt mit Freunden beharrend.
Als Lösung auf meine Panikreaktion lief ich bei einer weiteren Begebenheit von dem Parkplatz quer auf die Autobahn. Zuständig für diesen Fluchtversuch war ein Lastwagenfahrer, der nach kurzer Zeit wieder anhielt wegen angeblicher Blasenprobleme, links um den Laster rumging und sein bestes Stück direkt vor der Beifahrertür zur Schau stellte. Ich krabbelte reflexartig auf die Fahrerseite und leitete den oben angeführten Fluchtweg ein.
Ich lernte aus diesen Situationen nicht, wie antastbar ich doch bin, sondern nur, dass mit viel Reden, Bluffen und Reflexen gerade noch ein Entkommen war.
Dies sollte sich entscheidend ändern, als ich Anfang 2O mit meinem damaligen Mitbewohner Streit wegen des zu lauten Fernsehers hatte und ohne Vorwarnung ausgeknockt wurde (heute hätte ich seine latente Gewaltbereitschaft gefühlt).
REAKTION+ LÖSUNG: keine, wegen anschließender Bewusstlosigkeit.
Meine bis dato geglaubte Selbstwahrnehmung unantastbar zu sein, verlor ihre Gültigkeit.
Mit Ende 2O schien meine mir langsam auf die Nerven gehende Anziehungskraft auf solche Machtkämpfe wieder vermehrt aufzutreten:
In meiner damaligen Wohnstätte musste ich mir mit dem Hauptmieter den Flur teilen. Als zurückgewiesener Verehrer entwickelte er Hass und Machtkampf auf sehr bedrohliche Art und Weise. Wieder wurde ein Abhängigkeitsverhältnis missbraucht, dessen Auswirkungen sich in Auflauern, Telefonterror, Stromabschalten bis hin zu Morddrohungen steigerte.
Durch meine Leidensfähigkeit blieb ich handlungsunfähig, auch durch Hund und Freund (damals noch Taekwon-Do-ler, später Wing Tsun-ler), fühlte ich mich nicht ausreichend gestärkt.
REAKTION: Ohnmacht, Wut, Panik
LÖSUNG: nach Eskalation inklusive Mordversuch, hinter abgeschlossener Tür Hammer in die Hand genommen und kampfbereit.
Eine Deeskalation fand statt durch einen weiteren Mitbewohner, der ihn ablenkte und zu sich rief. Abschließend folgten konstante Bedrohungen meiner männlichen Freunde ihm gegenüber.
Jetzt reichte es denn doch!
Auf die Idee gebracht von meinem 7 Jahre jüngeren Bruder Otfried, für den ich ironischerweise zu Kinderzeiten die Beschützerin darstellte, begann ich bei ihm, bzw. seinem Lehrer Jörg Weber endlich meine WT Ausbildung (mit 3O offizieller Eintritt in die EWTO in Bremen bei Si- Hing Hartmut Gebelein 1991).
Es wird nicht für große Überraschung sorgen, dass ich 1 Jahr später wieder in eine Gefahr hineinrutschte, die zumindest äußerlich nicht von mir provoziert wurde (das Trampen hatte ich längst endgültig aufgegeben. Ich hatte nun nach meinem Motorrad einen eigenen PKW).
Auf der gegenüberliegenden Straßenseite begegneten mir 3 Ausländer, die meinetwegen die Straße wechselten und mit frauenfeindlichen Sprüchen offensichtlich meine Reaktion testen wollten.
REAKTION: Die Zeit des Bluffens war vorbei, trotz Adrenalin und Angst. Ich schlug dem Erstbesten mit dem Handrücken ins Gesicht.
Auf seine antwortende Boxposition mit der Drohung mich alle zu machen, ließ ich meine Einkaufstasche fallen und nahm wie gelernt die Vorkampfstellung Wu-sau Man-sau ein und verbalisierte meine Machtdarstellung mit den Worten „du hast die Ohrfeige verdient“…Das war sehr riskant – ich hatte einfach mehr Glück als Verstand, dass mir in meiner Selbstüberschätzung nicht mehr passiert ist.
LÖSUNG: Angestaute Wut und Aggression loswerden (Punchingball).
Jahre später sollte dies der Leitsatz in meinen Unterrichtsstunden als Trainerin werden: Nutze immer den Überraschungseffekt
Nach 3 Jahren gezielten Trainings wurde ich ruhiger, meine Wut und meine Aggressionen konnten kompensiert werden durch die Lehren des Wing Tsuns. Ich wurde Assistenztrainerin des gemischten Trainings bei Otfried Glaser.
Meine Ausstrahlung
schien sich auch schon dahingehend verändert zu haben, dass ich nicht mehr in
abhängigkeitsmissbrauchende Verhältnisse geriet.
Aus meinem defensiven reaktiven Verhalten modifizierte sich aktives Angriffsverhalten
und Zivilcourage, wenn es denn die Situation tatsächlich erforderte. Zu Beginn
meiner WT- Ausbildung fokussierte ich mich auf den adäquaten Umgang mit dem
Escrima. Seitdem können aufmerksame Beobachter in jeder Etage meiner Wohnung
einen Escrimastock entdecken. Dieser Umstand sollte mir in folgender Situation
mit von Nutzen sein:
Ich war 33 und hörte mitten in der Nacht eine Frau schreien. Niemand in dieser Straße hätte besser helfen können als ich (nein, diesmal ist es keine Selbstüberschätzung mehr, ich wusste es einfach). So nahm ich instinktiv meinen Escrimastock und versteckte diesen hinter meinem Rücken.
REAKTION ? nein, AKTION: ich verhielt mich zunächst (auch mit einem leichten Panikgefühl wie gehabt) im Hintergrund und checkte die Lage: 2 Typen stehen, einer beugt sich über die schreiende Frau, welche im Grünstreifen liegt und sich augenscheinlich wehren will. Ich behalte die Stehenden im Auge um notfalls zuerst den Knienden k.o. zu schlagen und dann die anderen. Mit Bestimmtheit rufe ich: „Was ist hier los!?“ und zeige mich. Zum Glück, wenn auch langweilig für die Leser, entschärfte sich die Situation, indem mir die drei Verdächtigen (normale Passanten, die ebenfalls Hilfestellung leisten wollten, wie sich herausstellte) sofort Rede und Antwort standen: Das vermeintliche Opfer entpuppte sich als drogenkranke Person, welche sich zu dem Zeitpunkt im akuten Rauschzustand befand und dementsprechend unter Halluzinationen litt.
Meine innere REAKTION verwandelte sich ohne direkte Bewusstwerdung in AKTION und integrierte automatisch einen Lösungsweg. AKTION und LÖSUNG wird zu einer festen Einheit. Ein innerer Angstabbau war nicht mehr nötig, zufrieden schlief ich ein mit der Sicherheit, im Notfall tatsächlich aktiv werden zu können.
1995 absolvierte ich den WT-Übungsleiter.
Anfang 1997 übernahm ich mit dieser beruhigenden Gewissheit und dem Gefühl auch wirklich die alleinige Verantwortung übernehmen zu können, das Training im Frauenprojekt in der WT-Schule Bremen.
Im Juni desselben Jahres bestand ich die Prüfung zum 12. SG.
Ich erweiterte mein pädagogisches Wissen (4 Semester Lehramtsstudium für Sport und Kunst in Freiburg und Bremen) unter anderem durch die Erarbeitung neuer Unterrichtseinheiten mit aktueller konzeptioneller Supervision, geleitet von Sigrun Glaser-Freyer (Psychotherapeutin und Dozentin für Supervision und Selbsterfahrung an der Uni Frankfurt).
Ich absolvierte regelmäßig Vollkontakttraining mit Partnern aus anderen Kampfsportbereichen wie Karate, Taekwon-Do, Boxen, Kickboxen und Judo und zusätzlich umfangreiche Einsichten in die Waffen-Abwehr und Angriffstechniken für die Selbstverteidigung im Alltag.
Dies sollte auch wesentlich dazu beigetragen haben, dass ich mich- möglichst realistisch und praktisch vorbereitend für meinen Unterricht- auf Angriffe von Männern gegen Frauen, also auf Gewalt gegen Frauen allgemein, spezialisierte.
Ein weiterer Test für die professionelle Entwicklung meiner WT Fähigkeiten stellte sich Ende 1997 ein, und zwar dahingehend, dass Gefühle und hemmende Gedanken durch komplett reflexartiges Agieren ersetzt wurden.
(RE-) AKTION und LÖSUNG verschmolzen erneut:
In meiner Kneipe, in der ich als Tresenkraft jobbte, bahnte sich eine bedrohlich nach Gewalt riechende Kontroverse an. Meine Reflexe haben die Kontrolle übernommen und dadurch den negativen und hemmenden Gedankenkonstrukten keine Chance gelassen.
Der kleinere Arbeitsteil bestand darin, die Aschenbecher aus dem Weg zu räumen und einem der Aggressoren mit Verbalattacken den Queue sowie sein Bierglas aus der Hand zu nehmen.
In seinen Weg gestellt mit Blick auf die Ausgangstür zeigte ich ihm an, dass ich ihn jetzt aus der Kneipe schieben werde (unauffällige Kontaktaufnahme).
Das nächste woran ich mich erinnere ist, dass ich danach sehr schnell 5 Meter auf ihn zuging, und ihn dadurch an die Wand drückte (Druckaufbau), mit dem Abschluss, ihn durch eine Abfolge von Kettenfauststößen außer Gefecht zu setzen.
Mein erster Kampf.
So cool wie zum Zeitpunkt der Aktion war ich im Nachhinein natürlich nicht mehr.
Eine Mischung aus Selbstbewunderung und Verzückung über die Tatsache, dass ES tatsächlich funktioniert und erhöhtem Adrenalinspiegel ließen mich selbst zum Gast auf der anderen Seite des Tresens werden.
Ein Jahr später konnten mein Bruder Otfried und ich unsere Trainertätigkeit erweitern durch Selbstverteidigungskurse für die BSAG Fahrer und Fahrerinnen.
Des Weiteren nahm ich an dem Jahresprojekt der Stadt Bremen für Zivilcourage, mein Thema: Kannst Du Dir selbst helfen, kannst Du auch Anderen helfen teil und lehrte in meinen zwei Kursen unter anderem Tipps und Tricks sowie WT gegen Gewalt im Alltag.
Zu guter Letzt leitete ich im Oktober 1999 einen Landeslehrgang, veranstaltet vom Jiu- Jitsu Landesverband Bremen zum Thema Einführung Wing Tsun (wahrer Grund des Veranstalters und eigenes Interesse bestanden eher darin, eine freundliche Zusammenfügung von verschiedenen Kampfsportlern und den Abbau von Vorurteilen anderen Kampfsystemen gegenüber zu bewirken).
Mit viel Einfühlungsvermögen, Überzeugungskraft und realitätsnahen Techniken und Anwendungen (mal entspannt mit Humor, mal ernst kurz und schmerzhaft für den potentiellen Aggressor vorgetragen) verschaffte ich mir von Beginn an Sympathien und eine große Portion Respekt, was mich zufrieden über meine Ausstrahlung und mein Können vor den ganzen kampfsporterfahrenen Schwarzgurten und Dan-Trägern bis hin zu ganz finster und unerschrocken dreinblickenden Antiterrorkämpfern souverän durch den Lehrgang führen ließ…
Ein erfolgreicher Tag.
Dass viele Lehrgangsteilnehmer hinterher noch sehr interessiert waren an weiteren Trainingsmöglichkeiten ist nur am Rande erwähnenswert.
Ich schreibe diesen Erfolg sowohl meinem Werdegang als WT Schülerin bzw. Trainerin zu, als auch auf mein erlangtes Selbstbewusstsein und meine Gelassenheit im Alltag und in traditioneller Weise auf meine Wing Tsun Familie, meinen Bruder und Si-Hing und Ausbilder Otfried Glaser, meinen anderen Si-Hing Hartmut Gebelein und meinem Sifu K. R. Kernspecht (für den ich diesen Lebenslauf im Vertrauen sehr persönlich gestaltet habe), seinen Lehrer und meinen Si-Gung Leung Ting, dessen Si-Fu, und dessen Si-Fu…in großer Dankbarkeit, und zolle hiermit meinen Respekt.
Ich grüße Dich Sifu!
Statistik und Ammenmärchen
2. Technikergrad
In meinem nächsten Aufsatz habe ich all die Themen zusammengetragen , die im Laufe der ersten Jahre im Frauentraining immer wieder auftraten und für Diskussionen sorgten. Wie oft hörte ich Fragen wie: „wenn ich mich wehre, wird der Angreifer dann nicht noch wütender und brutaler? Wenn ich dem Angreifer in die Augen sehe, provoziert ihn das nicht unnötig?“ Erst als ich mich mit Statistiken des Landeskriminalamtes beschäftigte, konnte ich manche Fragen zufriedenstellend beantworten. Nutze Deine Chance, die Statistik spricht für die Gegenwehr!
Zum 2. Technikergrad (Trainer 2) ist der folgende Aufsatz entstanden:
>> Statistik und AmmenmärchenZWEITE WT-TECHNIKER ARBEIT
Statistik und Ammenmärchen
… oder wie das Zebra dem Krokodil ins Auge beißt!
dpa. Tansania: Gestern geschah an einem Wadi eine für die Tierwelt ungeheuerliche Kräfteverschiebung: Massai konnten beobachten, wie sich ein Zebra, das sich schon in den scharfen Fängen eines Krokodils befand und unter Wasser gerissen zu werden drohte, mit einem gezielten Biss ins Auge befreien konnte…
So oder ähnlich hätte die Zeitungsmeldung zu der Tierdokumentation, welche ich neulich im Fernsehen bewundern durfte, aussehen können. Das Opfer wehrt sich gegen den Täter und kommt tatsächlich mit dem Leben davon. Die Schwächere gegen den Stärkeren? Schier unmöglich und scheint fast wider der natürlichen Ordnung! Und so kommen wir auf direktem Wege zu
Ammenmärchen:
Quasi revolutionär und aufrührerisch die Geschichte von dem Zebra, wenn man sich all die Ammenmärchen betrachtet, welche den Frauen- den vermeintlich Schwächeren- seit jeher eingeimpft wurden und leider auch noch werden. Welch ein Frevel, denn die Statistik beweist, dass die gut gemeinten Ratschläge mit der Realität nicht mehr vereinbar sind. Der schlimmste aller Ratschläge ist natürlich der, sich nicht zu wehren. „Vergewaltigt wirst du so oder so, aber wenn du still bist, bleibst du vielleicht unverletzt (…), am Leben“ etc. Weisheiten wie: „Frauen sind nun mal von Natur aus schwächer, die haben keine Chance, wenn ein Typ richtig zuschlägt, egal ob sie mit den Armen und Beinen fuchteln können…“, „Du bist eine Frau und traust dich ja doch nicht zu schießen!“, „Zieh keine kurzen Röcke an, dann passiert dir auch nichts“,… runden das Bild ab.
Bei häuslicher Gewalt heißt es meist: „Sieh doch einfach zu, dass du ihn nicht ständig provozierst, du weißt doch wie er ist.“ Ein Therapeut hat dies bei einem deswegen zunächst „verstoßenen“ Mann von einer Bekannten auf den Punkt gebracht: „Sie müssen sich ja auch wehren, wenn Ihre Freundin sie ständig provoziert!“ Leider hat diese Frau- sie ist Psychologin- irgendwann tatsächlich daran geglaubt, dass sie sein Ausflippen auch verdient habe, weil sie ihn ja so schlecht behandelte. So dass sie nun wieder mit ihm zusammen ist und sein Spiel mitspielt.
Und warum? Urschuld der Frau?
Eine andere Freundin, auch Psychologin und dazu in meinen Augen eine sehr starke und kluge Frau, die sich von den Männern nichts gefallen lässt, diskutierte mit mir sehr ernsthaft über besagtes- in meinen Augen gefährlichstes- Ammenmärchen: Wehr dich nicht, dann geht’s. Augen zu und durch! Auch sie bestätigte mir, dass sie ohne Kenntnisse und Beherrschung von Selbstverteidigung Gleiches denken würde. Dabei fehle es ihr nicht an Ideen, den Aggressor auszuschalten, sondern an Mut, Vertrauen in die eigene Kraft und Überwindung der Hemmschwelle, jemandem weh zu tun, obwohl Frau gerade im Begriff ist, selber massiv verletzt zu werden. In ihrer Fantasie sieht sie sich natürlich als aggressive Kampfmaschine a la Luci Lu, aber was wäre in echt? Sie traut sich zu, vollkommen gelähmt vor Angst zu sein.
Und warum? Fehlende Praktiken und Hemmschwellen .
Eine meiner besten Quellen aus erster Hand waren meine beiden Kommissarinnen– zwei Frauen, die während ihrer Ausbildung bei der Polizei meine WT- Schülerinnen waren und mich regelmäßig mit Polizeiuntersuchungen, Täter- und Opferbefragungen und den neuesten Statistikauswertungen versorgten. Sie waren Frauen und sie kannten die Polizeistatistiken, waren demnach aufgeklärt. Eine sehr unübliche Kombination. Das Interessante an den beiden war, dass sie genau die gleichen Schlaghemmungen und Ängste hatten, wie all die anderen Frauen, die mit dem Training begannen. Gegenwehr könne nur provozieren oder von vornherein wirkungslos und sinnlos sein, die Brutalität und Tötungsabsicht des Täters könnte sich durch Gegenwehr erhöhen (ah, die schönen Ammenmärchen) und überhaupt, einem die Augen auszustechen, wäre doch ekelig, das könnten sie nicht.
Und warum? Typisch geschlechtsspezifische Erziehung, Ängste und Hemmungen.
Wütend macht es mich und es ist außerdem frustrierend für neue Teilnehmerinnen, wenn diese von ihren Partnern zu Hause erzählen: jene stimmen nämlich ganz gönnerhaft dem neuen Hobby ihrer Freundin prinzipiell zu, aber setzen natürlich nach: „Gegen die Kraft eines Mannes hast du im Ernstfall sowieso keine Chance! Zeig doch mal was du schon gelernt hast!“ Natürlich können sie nach zwei oder drei Stunden dem Mann noch nicht überlegen sein und er hat scheinbar gewonnen mit seinen Einschüchterungsversuchen. Noch.
Und warum? Resignation vor der physischen und psychischen Omnipotenz des Mannes.
Der scheinbare Gewinn, einer noch brutaleren Gewalttat entkommen zu sein, kommt uns Frauen unbewusst entgegen. Denn die Angst zu kämpfen ist größer als die Angst zu leiden.
Wie kommt es aber, dass wir immer noch die Opferrolle für uns beanspruchen und was kann dagegen unternommen werden?
Bevor wir uns den Lösungsvorschlägen widmen, müssen wir natürlich zunächst die übliche Ursachenforschung betreiben. Da ich mich auf das Training mit Frauen konzentriert habe und hier erörtern möchte, wie speziell Frauen geholfen werden kann, aus ihrer Opferrolle zu schlüpfen, möchte ich auf die psychischen Nöte und erlittenen Kindheitstraumata von gewalttätigen Männern, bzw. misshandelten Jungen nicht eingehen. Das würde den Rahmen sprengen und muss an anderer Stelle erörtert werden.
Ursachenforschung:
Es ist leichter für die Frauen aufgrund ihrer Biografie, die ja mit geschlechtsspezifischer Erziehung anfängt, aufgrund gesellschaftlicher Zwänge, maroden Rollenmustern und Klischees, und dem krampfhaften Versuch der Männer die alten Machtstrukturen ja nicht ins Wanken bringen zu lassen, sich dem Gewohnten und Vertrauten zu fügen.
Ja, haben nicht im Gegenteil, nur weil wir Frauen stärker geworden sind, Übergriffe auf uns zugenommen? So scheint es nur, da im Gegensatz zu früher die Medien mit im Spiel sind, und wir darüber erfahren.
Was ist mit unseren Mitstreiterinnen bei der Bundeswehr und der Polizei? Fertig gemacht werden sie, gemoppt oder sexuell belästigt, weil viele Männer Angst haben vor der Verletzung und dem Verlust ihrer letzten Bastion: Autorität und Kampf!?
Nein, auch Männer, die dem Mackerkult dort nicht entsprechen und durch Sensibilität leider den Part des Schwächeren übernommen haben, erleiden das gleiche Schicksal.
Auf der anderen Seite ist die positive Entwicklung seit Alice Schwarzer im Stärken des Selbstbewusstseins der Frau enorm, wenn man bedenkt, dass es Jahrtausende gedauert hat und durch unseren christlichen Glauben, der ja eigentlich mit Nächstenliebe einhergehen sollte – aber wohl nicht was das weibliche Geschlecht oder Andersgläubige betrifft – auch noch untermauert und gerechtfertigt wurde: Die Frau ist dem Mann Gehorsam schuldig, sonst darf er sie züchtigen, denn schließlich sind wir Verkörperung allen Bösen und werden schon sündig geboren, denn Eva hat den Apfel gegessen und den wehrlosen äh, willenlosen Adam verführt.(Ups, der Mann ist also doch das eigentliche Opfer? Und hat deswegen das Recht auf jahrtausendwährende Rache?)
Während der Prozedur der Eheschließung musste die Frau früher Gehorsam geloben, der Mann aber nur Liebe und Ehre versprechen. Und das Versorgen selbstverständlich. Im frühen Mittelalter durften wir uns zusätzlich zur aufgezwungenen Ehe in der Kirche auf den Boden legen und die Arme ausbreiten als Zeichen unserer Unterwerfung und Anerkennung unseres neuen Herrschers.
Althergebrachte Erziehung, die natürlich nichts mehr mit der Wirklichkeit zu tun hat: der Mann bringt nicht mehr notgedrungen das Brot nach Hause und teilt es mit seinem Schwert, gesellschaftlich sind wir viel anerkannter, wir dürfen seit ca. hundert Jahren sogar wählen, viele Frauen haben Karriere gemacht und politische Positionen inne. Auch die Ursünde scheint man uns nun endlich verziehen zu haben, so dass keine Notwendigkeit mehr besteht, auf Verlangen des Mannes willig zu sein oder bereitwillig Schläge einzustecken, wenn wir unser schändliches Fehlverhalten nicht im Griff haben.
Gegenwehr war gleichgesetzt mit tödlicher Bestrafung, die Hemmschwellen für uns Büßerinnen waren gelegt. Zumindest in unserem westlichen Kulturkreis.
Aber die Menschheit ist träge, was Veränderungen betrifft und so bestimmen einige Klischees immer noch unser Unterbewusstsein. Und wir lassen sie in die Erziehung mit einfließen, ohne dass wir es wollen: Im Mindesten müssen sich Mädchen besser und klüger benehmen als Jungs. „Die Burschen sind eben aggressiver und haben sich nicht so im Griff.“.
„So sind Jungs halt“, „Jungs sind viel stärker, da kannst du gar nicht mithalten! Die müssen auch Kämpfen lernen, sonst werden sie keine starken Männer!“
Es gibt immer wieder Frauen die in meine Kurse kommen und so fest von dieser körperlichen Übermacht der Männer überzeugt sind, dass sie glauben ein Mann kann mit einer Hand eine Frau an ihren beiden Handgelenken festhalten und sie ist ihm hilflos ausgeliefert..
Warum sind uns diese Hilflos-sein-Theorien so recht? Die Angst ist der Schlüssel; gepaart mit Hilflosigkeit und Ohnmacht hindern wir uns wunderbar daran, uns zu verändern und aggressiv voranzuschreiten. Denn vorher müssten wir ja durch die Angst gehen, welche schon unter Denkmalschutz gehört, so alt wie sie ist, und etwas tun, das wir nicht kennen: KÄMPFEN.
Der Angst ins Auge zu sehen will und muss eben gelernt sein.
Nicht jeder hat das Glück oder Unglück- je aus Sicht des Betrachters- wie ich, und konnte die lähmenden Hemmungen schon in der Kindheit ablegen. Wie ich in meiner ersten Technikerarbeit schon beschrieb, wuchs ich als drittes Mädchen eines sehr Jungs orientierten Patriarchen auf, und tat alles dafür, mich von meinen Schwestern zu unterscheiden. Also ließ ich in unsrer Siedlung keinen Bandenkrieg und keine Rauferei aus und kein Baum war mir zu hoch. Ich bekam mein Lob und hatte positive Erfahrungen gesammelt, die zumindest dazu dienten, Bluffstrategien zu entwickeln und meine Angst vor dem Duell zu verlieren. So traute ich zuzuschlagen wenn es die Situation erforderte. Aber es kann damit natürlich nicht einhergehen, dass nun jeder Mensch im Kindesalter der Hahnenkampfmentalität verfallen soll. Kampferfahrung kann sehr nützlich sein, gerade weil bei Mädchen Mut und ich- fördernde Aggression meist immer noch nicht als Tugend gefördert werden. Bei Jungs hingegen steht die Ehre permanent auf dem Spiel. Wenn man nicht mutig ist oder sich nicht wehrt, gilt man als feige. „Das lass ich mir nicht bieten, das kriegt der zurück“, wenn ihnen dabei wenigstens auch anerzogen wird, Mädchen nicht zu schlagen und daran auch fest zu glauben, wäre das ja schon die halbe Miete.
Dabei sind so viele Frauen psychisch eigentlich schon genug gewappnet um in einem emotionalen Kampf den Mann der sie bedroht, zu besiegen bevor die Situation äußerlich eskaliert.
Wenn die Frauen mehr Zutrauen in ihre körperlichen Fähigkeiten zur Gegenwehr hätten und die Männer mehr Zutrauen in ihre Sprechfähigkeiten, wären so manche Konfliktsituationen ausgeglichener. Aber wie erreicht man das?
Gegenteilige Erziehung, die den Jungen unterdrückt, ist natürlich kontraproduktiv und schürt nur wieder unbewussten Frauenhass und einen ungeahnten Teufelskreis. Gleichberechtigung schon in der Erziehung ist das angestrebte Optimum.
Gewalt allgemein in der Familie schafft Erfahrungen, die man so schnell nicht über Bord werfen kann. Für das Opfer wie für den Täter.
Man (Frau) muss überzeugt von ihren Fähigkeiten sein, um sich einen Kampf zuzutrauen. Überzeugung (in diesem Fall unsere Ammenmärchen) setzt sich zusammen aus Überlieferung und Erfahrung. Aber nicht zu gleichen Teilen. Die eigenen Erfahrungen überwiegen immer mehr, als die überlieferten Informationen. Leider sind die meisten Erfahrungen, die Mädchen und Frauen in ihrem Leben gemacht haben, von Unterlegenheit gegenüber den Jungs und Männern geprägt. Die Macht liegt bei den physisch Stärkeren. Aber Erfahrungen sind veränderbar und darin liegt unsere Chance. So habe ich zum Beispiel regelmäßig Frauen, die Gewalttaten ausgesetzt waren, in meinen Kursen. Diese sind interessanterweise im Training nicht die verschreckten Opfer, denn sie haben eine unglaubliche Wut im Bauch, die sie an den Pratzen (Schlagpolster) ohne Hemmschwellen auslassen. Genug Wut im Bauch; der erste Schritt aus der Opferrolle.
Ein weiterer Stolperstein auf dem Weg zur mutigen Gegenwehr von Frauen wäre noch der der störenden Instinkte: Der Fluchtinstinkt steht in direktem Widerspruch zum Kampfeswillen. Durch die hohe Hemmschwelle, sich gegen einen übermächtigen Gegner zu wehren, haben Frauen mehr Wenn und Aber im Kopf. Lieber nicht kämpfen sondern wegrennen, obwohl es überhaupt keinen Sinn macht zu flüchten – denn sie werden von hinten erwischt, es sei denn sie haben grad zufällig die Meisterschaft in Leichtathletik gewonnen. Oh, erliege ich hier grade einem Ammenmärchen, der Mann sei sowieso immer schneller? Leider belegt es hier die Statistik, wenn ein in seiner Persönlichkeit schwer gestörter Mann einer Frau Gewalt antun will, verleiht ihm der Trieb Flügel, was bei dem Opfer Panik auslösen, die Flucht lähmen und die Schnelligkeit schwer beeinträchtigen kann.
Während eines Kampfes hingegen, bei dem der Fluchtinstinkt zwar noch um Beachtung bettelt, wird ein weiterer Instinkt freigesetzt, nämlich der des Überlebenswillens. Der stärkste aller Instinkte,der ungeahnte Kräfte wecken kann; Höchstleistung, Konzentration und Ideenreichtum.
Vor allem wenn diese Kräfte vorher intensiv geübt und ein Kampfverhalten konditioniert wurde. Was mich direkt zu meinen Lösungsvorschlägen führt. Nicht ohne allerdings einen kleinen Umweg in die Statistik einschlagen zu müssen, denn das Wissen um die Statistik ist ein eminenter Vorstoß in Sachen Aufklärung und Überzeugung.
Statistik:
Verlässliche Untersuchungen über das Ausmaß von Gewalt gegen Frauen gibt es nicht, die Polizeistatistik, auf die ich mich hier hauptsächlich stütze, zeigt nur die Spitze des Eisberges. Meine Quellen stammen hauptsächlich aus dem Internet der offiziellen Seiten der Polizei, aus der Breitner Studie, Nürnberger Kampagne, aus einer Studie vom kriminologischen Forschungsinstitut Hannover, aus Berichten der WHO und Berichten der Frauen und Gesundheitsbeauftragten zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen, dem Landesaktionsplan Mecklenburg Vorpommern. Ich hege allerdings nicht den Anspruch einer wissenschaftlichen Ausführung, sondern möchte die zusammengetragenen Statistiken als Untermauerung meiner „Zebra“- Theorie nutzen. In einigen Situationen könnte das Wissen um die Statistik, was passiert, wenn Frauen sich wehren, sicher hilfreich sein bei der Entscheidung über den Sinn von Flucht oder Verteidigung.
Dazu folgendes fiktives Gerichtsplädoyer eines Verteidigers von einem Vergewaltiger, welches zig Male gehalten worden mag und auch leider noch zig Male gehalten wird, wenn Frauen nicht lernen ihr Potenzial zu nutzen:
„Hat sich die Klägerin gewehrt? Haben sich auch nur irgendwelche Anzeichen von Gegenwehr der Klägerin bei meinem Mandanten gezeigt? Nein, keine Kratzspuren oder Bisswunden konnten gefunden werden. Wenn ich mich nicht wehre, meine Damen und Herren, bekunde ich damit nicht mein unausgesprochenes Einverständnis?“
Beißen und Kratzen, eine Frau kann mehr als das. Gab es Anzeichen von Gegenwehr? Ja, eine zertrümmerte Kniescheibe, zerquetschte Hoden, Auge verloren und Kehlkopf verschoben. So sollte es eigentlich heißen, denn die Frauen, welche sich aus verständlichen Gründen nicht gewehrt haben und trotzdem vor Gericht gehen, müssen sich auch noch gegen Schuldzuweisungen, Bagatellisierungen und Demütigungen behaupten. Und sie können in der Urteilssprechung – falls es denn eine geben sollte – leider kaum Genugtuung finden. Steuerhinterzieher sitzen länger.
Nur 8% der Gewalttaten an Frauen landen vor Gericht. 1 % aller vor Gericht zitierten Gewaltanwender werden mit einer kleinen Freiheitsstrafe verurteilt (meist noch auf Bewährung bei Ersttätern- war schließlich nur ein Ausrutscher), bei „einfachen“ Misshandlungen folgen noch weniger Sanktionen und bei psychischer Gewalt gar keine.
Alte Klischees und Rollenmuster führen immer noch dazu,
- dass den Frauen nicht geglaubt wird, wenn sie sich gewehrt haben, aber keine Spuren aufzufinden sind – Hautfetzen unter den Fingernägeln kann auch noch als Lustkratzen interpretiert werden
- dass eine Frau die „nein“ sagt, natürlich das Gegenteil meint
- dass Frauen mit gesellschaftlicher Ignoranz und Schuldzuweisung noch zusätzlich bestraft werden (hatte ja einen kurzen Rock an oder hatte bestimmt aufreizend geguckt, warum flirtet sie auch, warum geht sie auch alleine aus etc. Was provoziert Frau überhaupt permanent, hat sie denn immer noch nichts gelernt?)
- dass jede siebte Frau in ihrem Leben mindestens einmal Opfer von einer Vergewaltigung oder einer sexuellen Nötigung wird
- dass Männer, die Gewalt gegen Frauen und Kinder ausüben, häufig mit dem schamhaften Schweigen der Opfer rechnen können. Scham über die eigene Hilflosigkeit und Schwäche. Psychoterror im häuslichen Bereich in Form von Kontrolle oder Gewalt von Seiten des Mannes ist ein altbekanntes Muster, denn wer Angst hat, lässt es mit sich machen. Da haben wir wieder den Kreislauf von Schuld und Mitschuld
Die Hemmschwellen der Gegenwehr und all ihre Ursachen sind absolut kontraproduktiv. Sie fördern kein Selbstbewusstsein, sondern Selbstschuld.
Denn die Wahrheit, welche durch statistische und psychologische Untersuchungen endlich belegt werden kann, ist,
- dass psychische Verletzungen vor Gericht und auch bei ärztlichen Untersuchungen keine Rolle spielen (bei den Attesten sogar implizit ausgeklammert werden). Anzeigen werden nur mit Attest aufgenommen und nur wenn das Opfer selber Anzeige erstattet. Zeugen werden kaum beachtet, wenn keine offensichtlichen Spuren am Körper des Opfers auffallen (so habe ich erst kürzlich versucht einem Mädchen zu helfen, die auf der Straße von ihrem Freund gegen die Mauer gestoßen und mehrfach ins Gesicht geschlagen wurde, indem ich bei der Polizei als Zeugin auf eine Anzeige bestehen wollte, aber: ohne Blessur keine weiteren Schritte!).
- dass der seelische Schaden von Vergewaltigung nie verjährt. Wer seine Chance verpasst(Gegenwehr / Anzeige), wird ein Leben lang unter Selbstverachtung leiden
- dass die Täter oft ihr Messer beiseitelegen, weil sie sich ihrer so sicher sind
- dass die Täter keine Gegner wollen, sondern Opfer
- dass 70 % der Übergriffe durch massive Gegenwehr abgewendet werden können
- dass Opfer, die sich bei der Tat gewehrt haben, auch später vor Gericht kämpfen, auf allen Instanzen
- dass Opfer ohne Gegenwehr auch hinterher tatenlos und hilflos bleiben. Nach Dunkelzifferschätzungen werden vermutlich weniger als 2 % aller Gewalttäter vor Gericht zitiert
- dass wer sich einmal von seinem Partner Gewalt antun lässt und bei ihm bleibt oder wieder zurück geht, mit großer Wahrscheinlichkeit zum Mehrfachopfer wird
- dass viele Frauen nach einer Vergewaltigung nicht nur schwanger, sondern auch noch mit Aids infiziert werden
- dass besagte geringe Freiheitsstrafen ein Freibrief für alle Gewalttäter ist
- dass in Paarbeziehungen fast jede dritte Frau in Deutschland einmal in ihrem Leben Opfer körperlicher oder sexueller Gewalt wird. Die Formen der Gewalt reichen von einer Ohrfeige über Würgen bis hin zum Waffengebrauch. Misshandelte Frauen erleben körperliche Gewalt durchschnittlich sechs Mal pro Jahr und sexuell misshandelte Frauen durchschnittlich ein Mal pro Jahr. 30 % dieser Partnerübergriffe zu Wiederholungstaten werden. Psychische Gewalt erleben etwa 26 % aller Frauen in Partnerschaften, in Form von Drohungen, Einschüchterungen und Demütigungen. Weltweit sind es 30 bis 50 % aller Frauen, die psychische Gewalt durch ihre Partner oder männliche Familienmitglieder erfahren müssen. Der gefährlichste Ort für eine Frau ist mitunter das eigene Zuhause. Gewalt gegen Frauen ist eines der häufigsten Kriminalitätsdelikte.
Irrglaube und klischeehafte, veraltete Einschätzungen weichen oft erheblich von den tatsächlich aufgestellten Statistiken ab und stehen im krassen Widerspruch, wie z. B.
- dass der Anteil des großen Unbekannten ca. 70 % ausmache. Im Gegenteil, mehr als 60 % der Täter waren dem Opfer bekannt. Mit steigendem Bekanntschaftsgrad nimmt die Dauer, die Intensität und der Aggressionsgrad und somit die Brutalität auch noch zu. Im Familien- und Bekanntenkreis liegt die geschätzte Dunkelziffer mindestens fünfmal so hoch wie die offiziell angezeigten Übergriffe, somit sind höchstwahrscheinlich nur 7 % der Täter völlig fremde Personen. 82 % der Täter wohnen in der gleichen Gegend
- dass an öffentlichen Einrichtungen die Gefahr am größten sei. Im Gegenteil, 41 % der Übergriffe finden im absoluten sozialen Nahbereich statt. 56 % der Vergewaltigungen finden in seiner oder ihrer Wohnung statt.
- Dass eine Vergewaltigung meist spontan durch eine zufällige Gelegenheit begünstigt passiert. Falsch! Die meisten Vergewaltigungen werden lange vorher und unter genauester Vorbereitung geplant und zwar zu 82 %
- dass Frauen mit aufreizender Kleidung mögliche Täter provozieren. Stimmt nicht und passt auch nicht zum Opferbild eines Täters. Täter suchen sich gezielt Opfer aus, bei denen sie sicher sein können, auf keinerlei Gegenwehr zu stoßen, auf Grund ihres Aussehens, Auftretens und Verhaltens. Zu einem modisch auffälligem, oder besonders attraktivem Outfit gehört Mut und Selbstbewusstsein, beides Eigenschaften, die sich ein Täter wohl eher nicht wünscht. Die „graue-Maus-Kleidung“ passt schon eher in die Opfersuche (was Polizeifotos von Opfern deutlich belegen)
- dass Vergewaltiger Triebtäter sind, psychisch Kranke, die ihre sexuelle Befriedigung brauchen. Dieses Klischee wird vor allem von den „normalen“ Männern geschürt um sich von Vergewaltigern abzugrenzen. Und auch wir würden doch niemals glauben, dass unser netter und stets zuvorkommender, angesehener Nachbar ein perverses Schwein sein könnte…Täter kommen aus allen Schichten, mit ganz normalen sozialen Verhältnissen und ihre Tat besteht keineswegs aus sexuellen Triebgelüsten. Es geht um Machtausübung gegenüber der Frau.
- Dass Gegenwehr die Gewalt hochschaukelt und verstärkt. Dieser Spruch wird vor allem von den Tätern selbst als Einschüchterung benutzt. Wie die Statistik belegt, geben 2 von 3 Tätern auf, sobald es ihnen zu schwierig wird oder sie auffliegen könnten, sich der Machtunterschied verschiebt und sie sich plötzlich in der schwächeren Position befinden.
- Dass mich bestimmt irgendjemand rettet. Irrtum, die meisten Menschen haben keine Zivilcourage und Nachbarn scheinen davon völlig frei zu sein.
Die Gegenwehr-Statistik aber belegt,
- dass Schreien in jedem zweiten Fall erfolgreich ist, aber nur bei der Hälfte aller Übergriffe von den Frauen eingesetzt wird (gelähmt vor Angst und stumm)
- dass Weinen und leichter bis gar kein Widerstand keine einzige Tat aufhält
- dass ohne Gegenwehr, bzw. nur mit verbalen Umstimmungsversuchen seitens des Opfers die Tat zu 81 % ausgeführt wird – Abbrüche der Tat ergeben sich meist nur durch Störungen von außen
- dass bei leichter bis mittlerer Gegenwehr, eher passivem Einsatz der Stimme, Arme, Beine oder des gesamten Körpers und Werkzeugen die Tat zu 68 % ausgeführt wird
- dass massive Gegenwehr dagegen (dabei handelt es sich noch nicht einmal um geübte Kampfsportlerinnen) in 2 von 3 Fällen zum Abbruch der Tat führt (auch Finten sind teilweise erfolgreich). Energischer Einsatz der Stimme, von Kratzen, Beißen und immerhin Treten oder Schlagen, lässt den Täter zu 86% aller Fälle aufgeben.
Fazit:
Das Zebra musste nicht üben. Sein
Überlebensinstinkt war größer bzw. perfekt gepaart mit dem Fluchtinstinkt. Und das wider allen
tierischen Gesetzmäßigkeiten. Jetzt lebt es nicht nur weiter, sondern ist auch
eine Erfahrung reicher. Wir Menschen dagegen sind ja eigentlich intelligenter,
mit unserer enormen Hirnmasse. Warum setzen wir also diese Intelligenz nicht ein, sondern warten darauf, dass uns
das Krokodil erstmal in seinen Fängen hat? Unser kompliziertes Gehirn spielt
uns Streiche, denn es ist zusätzlich beherrscht von unserer Psyche, die
wiederum aus Bewusstsein und Unterbewusstsein besteht.
Wir sollten umdenken:
Contra den einschränkenden
und Angst machenden Ammenmärchen, Contra Resignationen, Contra Minderwertigkeitsgefühlen,
Contra den störenden Instinkten und krampfhaft aufrechterhaltenden
Machtstrukturen. Schlagen wir den verschiedenen Bewusstseinsebenen ein
Schnippchen und erneuern unsere Sichtweise: Überzeugung und Information,
Aufklärung und Übung, positive Erfahrungen durch Gegenwehr, neue
Konditionierungen, Hemmschwellen eliminierende Gedankenmuster und last but
never not least Wing Tsun.
Dieses Rezept ist die Basis meines Trainingskonzeptes. Damit Frauen endlich Mut zur Gegenwehr schöpfen können.