Rennender Mann

Nur ein „rennender“ Mann

Newsletter der Polizei 

„AUGEN UNSERER STADT“

(bezieht sich auf den Weserkurier Artikel  vom 06.01.17)

1.) Pfefferspray bedeutet nicht automatisch Schutz. Selbst wenn es uns gelingt, das Spray rechtzeitig herauszuholen und den Angreifer anzusprühen, ist das Ergebnis völlig offen.
2.) Ein Täter wird dann in der Regel zwischen 2 Handlungsalternativen auswählen: Flucht oder Angriff – in diesem Falle Angriff! Das führt regelmäßig zu (erheblichen) Verletzungen beim Opfer!
3.) Und wenn man es ganz eng betrachtet, stellt sich die Frage, warum die Frau den Mann eingesprüht hat. Zu dem Zeitpunkt war es nur ein „rennender Mann“…

1.) Zunächst muss ich beachten, dass es sich auch wirklich um einen Angriff handelt.
Im obigen Fall wird der Täter in der polizeilichen Vernehmung vermutlich erklären, dass er gar nicht die Absicht hatte, die Frau zu überfallen. Als er dann angesprüht wurde, hat ihn das so geschockt, dass er ausgeflippt ist. Die Tasche habe er im Affekt und aus Wut mitgenommen. Daraus entwendet habe er nichts – stattdessen habe er die Tasche in ein Gebüsch geworfen…. irgendwo… Tatsächlich hat das Opfer bereits gesprüht, bevor es eine Tat gab.

Rennen ist aber keine Straftat!

Eine Wing Tsun Schülerin schreibt mir diese Mail:

Hallo Gudrun,

im Anhang wie versprochen der Newsletter der Polizei. Wirklichkeitsfremd finde ich Punkt 1 (beachten, dass es sich wirklich um einen Angriff handelt) – soll man vorher fragen?? Die beschriebene Situation ist für mich eindeutig ein Angriff, auch wenn der Täter noch „auf dem Weg“ ist.
Er wollte wohl kaum fragen, ob er statt des Euros nicht wenigstens 50 Cent haben kann… Auch weiter unten im Text die Überlegung, dass Gesundheit und Leben wichtiger sind als eine Handtasche. Zweifellos richtig, und wenn mir einer im Vorbeifahren die Handtasche von der Schulter reißt ist sicher Loslassen eine Option. Aber im beschriebenen Fall hätte der Täter genauso gut inzwischen beschlossen haben können „die hat mir nicht mal ´nen Euro gegeben, der werd‘ ich es zeigen“. Das kann man unmöglich alles abwägen, und soll man dann abwarten oder ihm vielleicht vorsichtshalber die Handtasche schon mal entgegenwerfen…?

Ich bin gespannt, was Du davon hältst und vielleicht bekommst Du ja sogar eine Rückmeldung der Polizei.

Auch noch mal vielen Dank für das praxisnahe Wochenende, vor allem die Übungen mit dem Puffer waren toll, weil man dabei wirklich einmal zuschlagen/-treten und dabei die eingebaute Hemmschwelle „bloß nicht wehtun“ überwinden konnte. Ich hoffe – wie wohl jede Frau – dass ich das alles niemals brauche, aber ich würde jetzt doch sehr viel entschlossener (und an andere Stellen) treten oder schlagen als vorher.

Lieben Gruß
Anke

Meine Antwort an sie:

Hallo Anke,

danke für das schnelle Zusenden des Artikels. Die Tat, der Tathergang wurde im Weserkurier relativ neutral dargestellt. Durch das Rennen auf die Frau zu, war die Frau unmittelbar in Gefahr. Sie musste handeln, sie hat gut gehandelt, leider hat das Spray nicht gut genug gewirkt.

In der Polizeibroschüre „Augen unserer Stadt“ wird das Handeln der Frau kritisiert. Es handle sich nur um einen Rennenden Mann finde ich eine sehr abwegige  und unrealistische Behauptung. Warum rennt der Mann wohl plötzlich auf die Frau zu, und warum so nah, dass sie Angst bekommt und ihr Pfefferspray sprüht? Soll er ihr doch fern bleiben. Abstand mein Freund!

Ich gebe Dir völlig Recht Anke, die Situation verunsichert. Ich kann nicht sagen was genau geschehen ist, aber sich hier zu sehr auf die Seite des Täters (des Gefährders) zu schlagen, finde ich fehl am Platz. Die Polizei hätte sich auch neutral äußern können wie der Weserkurier. Die Frau fühlte sich bedroht. Eile ist geboten. Sie musste irgendwie handeln. Das ging schief.

Ich hätte folgende Fragen an den Schreiber des Newsletters:

Zu 1.
Im Newsletter klingt es so, als sei es brisant, eine Gegenwehr überhaupt mit Pfefferspray zu versuchen, da das  Ergebnis nach der Verwendung immer noch offen bleibt? Es ist immerhin eine Chance mit Pfefferspray den Täter aufzuhalten. So gewinnt man vielleicht Zeit sich in Sicherheit zu bringen. Was ist brisant daran, dies zu versuchen? Es hätte heißen müssen: auch wenn man die Gegenwehr mit einem Pfefferspray versucht, sollte man wachsam bleiben, denn es könnte sein, dass der Täter trotzdem noch weitermachen kann.

Zu Punkt 2.
Im Newsletter steht, der Täter entscheidet, nach dem er Pfefferspray abbekommen hat, ob er seinen Plan fortsetzt oder aufgibt. Hier wird es so dargestellt, als ob der Täter erst dadurch, dass er mit Pfefferspray besprüht wird, überhaupt erst gewalttätig wird. Das sieht für mich in dem Zeitungsartikel anders aus. Bleibt aber ohne Aussage der betroffenen Frau Spekulation. Glaubenssache. Ich persönlich glaube nicht, dass jemand der grundsätzlich friedfertig ist, von jetzt auf gleich so brutal werden kann. Ob das Pfefferspray für den Ausgang der Situation überhaupt eine Rolle gespielt hat, wage ich zu bezweifeln. Wer rennt zu wem?

Zu Punkt 3.
Wieso verharmlost der Schreiber die Gefahr? Das klingt, als würden die Frauen ständig übertreiben mit ihrer Gegenwehr. Was ist wohl gewalttätiger, an den Haaren ziehen und den Kopf gegen die Betonwand schleudern,  oder Pfefferspray? Wenn der Mann nur unschuldig rennt, hätte es keinen Zusammenstoß gegeben. Kein Pfefferspraykontakt. Das Spray hat keine besonders hohe Reichweite. Es wirkt nur in unmittelbarer Nähe. Ich persönlich glaube, dass die Frau eher zu spät, als zu früh reagiert hat. Ich hatte schon viele Gespräche mit betroffenen Frauen, die mir ihre Opfererfahrungen  geschildert haben. Die meisten hatten auch in höchster Not noch immer zu große Hemmschwellen sich zu wehren. Leider.

Durch solche verunsichernden Texte, wie die des Newsletters der Polizei,  wird nur erreicht, dass sich in Zukunft wieder weniger Frauen trauen sich überhaupt zu wehren. Eine unnötige Bremse für den Mut zur Gegenwehr des schwächeren Geschlechts. Die Frauen fürchten einmal mehr, dass …ihre Gegenwehr überhaupt nicht wirkt? (Pfefferspray) …der Täter durch ihre Gegenwehr erst recht gewalttätig wird? (Flucht oder Angriff) …Frauen vor Gericht nicht Recht bekommen, wenn der Täter auf unschuldig macht? (Rennender Mann).   

Die Zeiten in denen es hieß, die Frau sei selber schuld, weil sie den Täter reizt mit Minirock oder frechen Widerworten, ist Gott sei Dank vorbei.

>> Das Notwehrgesetz §23 StGB besagt deutlich, dass eine Ausholbewegung reicht, um in Notwehr handeln zu dürfen. Wenn Mann, der kurz zuvor noch Geld von einem verlangt hat, jetzt plötzlich rennend auf einen zu kommt, nicht eine Ausholbewegung einer drohenden Gewalttat sein soll, was ist dann eine Ohrfeige? Der Täter wollte sich nur hinter dem Ohr kratzen? Schwung holen bedeutet mit dem entsprechenden Kontext unmittelbare Gefahr. Wer jetzt nicht blitzschnell handelt wird überrannt, umgestoßen, geschlagen, verprügelt… Ausweichen oder dagegenhalten ist die einzige Alternative, die einen noch retten kann vor der Verletzung. Wegrennen in dem Falle wohl nicht mehr, weil der Täter durch seinen Schwung ja schon eine hohe Geschwindigkeit drauf hat. Er wird mich dann von hinten sicher erwischen. Von hinten bin ich noch weniger wehrhaft als von vorne.

PS.

Die einzige alternative Handlungsmöglichkeit die ich, als erfahrene Wing Tsun Selbstverteidigungstrainerin in dem Fall sehe ist, geistesgegenwärtig und blitzschnell zwei Dinge gleichzeitig zu tun: Das Pfefferspray ziehen und Sprühbereit sein, während man die Handtasche zur Seite wirft, damit der Täter, falls er nur einen Diebstahl vorhat, sich lieber der Tasche nähert als der Frau. Dann ist zu hoffen, dass er mit der Beute flieht. Wenn nicht, was werfe ich als nächstes fort? Sicher nicht mein Pfefferspray!

Mit freundlichen Grüßen
Gudrun Glaser

Meine Botschaft:

Vertraut eurem Instinkt und eurer Intuition. Nicht aufgeben, wenn das Pfefferspray versagt. Ihr habt noch Hände und Füße.


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