7. Notwehrrecht

Notwehr­recht

Die straf­rechtliche Seite der Selbst­verteidigung

Die folgenden Hinweise zur Rechts­lage behandeln das Thema nicht erschöpfend und sollen nur deutlich machen, dass man sich nicht alles gefallen lassen muss, aber auch nicht alles erlaubt ist.

Grundsätzlich wird bestraft, wer einen anderen vorsätzlich oder fahrlässig körperlich verletzt oder gar tötet. Auch Freiheitsberaubung (z. B. durch längeres Festhalten des Gegners) oder Sachbeschädigung (z. B. bei zerrissener Kleidung) sind grundsätzlich strafbar. Ausnahmsweise wird nicht bestraft, wer eine „durch Notwehr gebotene“ Tat begeht. „Notwehr ist die Verteidigung, die erforderlich ist, um einen gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff von sich oder einem anderen abzuwenden“ (§32 StGB).

Folgende Voraussetzungen sind zu beachten:

Der Angriff kann auf das Leben, den Körper, die Gesundheit, die Bewegungs­freiheit, das Eigentum, den Besitz oder ein anderes Rechtsgut, z. B. die persönliche Ehre oder das Recht am eigenen Bild abzielen. Der Angriff kann gegen Dich, Deinen Begleiter oder einen Fremden und sogar gegen einen Abwesenden (z. B. Aufbrechen eines geparkten Autos) gerichtet sein. Er kann mit oder ohne Waffe erfolgen und von einem oder mehreren Menschen ausgehen. Bloße Belästigung ist kein Angriff.

Gegenwärtig ist nicht nur der Angriff, der bereits begonnen hat (z. B. wenn der Angreifer zuschlägt), sondern auch der unmittelbar bevorstehende Angriff (z. B. wenn die Angreifer ihr Opfer einkreisen; wenn der Angreifer zum Schlag ausholt; wenn der Angreifer zur Waffe greift). Auch der noch nicht abgeschlossene Angriff ist gegen­wärtig (z. B. wenn der Räuber mit der Handtasche davonläuft). Gegen einen endgültig abgeschlossenen Angriff gibt es keine Notwehr (z. B. wenn sich der Schläger eindeutig zurückzieht, oder wenn er bereits kampfunfähig ist), bloße Vergeltungsmaßnahmen sind keine Notwehr und strafbar.

Angriffe, d. h. Verletzungen fremder Rechtsgüter, sind in aller Regel rechtswidrig. Wichtigste Ausnahme: wenn ein Polizeibeamter einen Tatverdächtigen festnimmt, ist dieser Angriff auf die Bewegungsfreiheit nicht rechtswidrig, selbst wenn der Festgenommene unschuldig ist.

Verteidigung ist die Abwehr eines gegenwärtigen, rechtswidrigen Angriffs. Zur Verteidigung zählt nicht nur die reine Abwehr von Schlägen (z. B. durch Pak Sao), sondern auch der Gegenangriff (z. B. der Fauststoß), der einem unmittelbar bevorstehenden ersten oder weiteren Schlag des Angreifers zuvorkommen soll. Zur rechtmäßigen Notwehr gehört auch der Wille, sich oder einen anderen zu verteidigen. Es macht nichts, wenn neben dem Verteidigungswillen auch Wut und Vergeltungsstreben eine Rolle spielen; allerdings kann sich nicht mehr auf Notwehr berufen, wer hauptsächlich aus Wut, Hass oder Rache zuschlägt.

Rechtmäßig ist nur die Verteidigung, die zur Abwehr eines gegenwärtigen, rechtswidrigen Angriffs erforderlich, d. h. notwendig ist. Welche Verteidigungsmaßnahmen und ggf. Verletzungen des Angreifers erforderlich sind, hängt von allen Umständen des Einzelfalls im Augenblick des Angriffs ab, also vor allem von Größe, Gewicht, Stärke, Bewaffnung, Aggressivität und Fähigkeiten des Angreifers, von der Anzahl der Angreifer und von den eigenen Verteidigungsmöglichkeiten bzw. (falls ein anderer angegriffen wird) von den Fähigkeiten des Angegriffenen. Die jeweilige Kampflage bestimmt Art und Maß der Notwehr. Wenn der Angriff durch einen leichten Tritt oder Fauststoß sicher abgewehrt werden kann, darf der Angreifer nicht krankenhausreif geschlagen werden!

Wenn mehrere wirksame Verteidigungsmittel zur Auswahl stehen, muss dasjenige gewählt werden, das den Angreifer am wenigsten verletzt. Der Angegriffene braucht aber kein eigenes Verletzungsrisiko einzugehen, um den Angreifer zu schonen, sondern darf auf „Nummer sicher“ gehen. Vor allem wenn man, was oft der Fall sein wird, gar nicht die Zeit hat, die Kampflage eingehend zu prüfen, und wenn man die kämpferischen Fähigkeiten des Angreifers nicht zuverlässig einschätzen kann, darf man sich für eine sichere, erfolgversprechende Verteidigungshandlung entscheiden.

Die Erforderlichkeit der Verteidigung hängt nicht davon ab, dass das angegriffene Rechtsgut (z.B. ein Geldbeutel) mehr wert ist als das durch die Verteidigung verletzte Rechtsgut des Angreifers (z. B. seine Gesundheit); allerdings darf auch kein unerträgliches Missverhältnis bestehen, z. B. darf man einen Räuber, der einem 5,-Euro weggenommen hat, auch dann nicht töten, wenn es keine andere Möglichkeit gibt, um sein Geld zurückzubekommen.

Auf Notwehr kann man sich nur berufen, wenn die Notwehr geboten ist, um den Angriff abzuwehren. Hinter diesem Wort stecken folgende Einschränkungen: Bei Angriffen von Geisteskranken, Kindern oder total Betrunkenen kann es im Einzelfall zumutbar sein, dem Angriff auszuweichen und auf Gegenwehr zu verzichten (Beispiel: Ein Betrunkener, der kaum noch stehen kann und niemanden ernsthaft verletzen kann, holt zum Schlag aus). Wer einen Angriff (z. B. durch eine schwere Beleidigung des Angreifers) provoziert hat, muss dem Angriff möglichst ausweichen und darf sich nur sehr zurückhaltend verteidigen; wer einen Angriff nur deshalb provoziert, um den Angreifer „in Notwehr“ zusammenschlagen zu können, kann sich überhaupt nicht mehr auf Notwehr berufen. Bei einem unerträglichem Missverhältnis zwischen dem angegriffenen Rechtsgut (z. B. wenn es nur um 5 Euro geht) und dem durch die Verteidigungshandlung bedrohten Rechtsgut (z. B. dem Leben des Räubers) ist Notwehr ebenfalls nicht geboten.

Zum Abschluss noch folgende Hinweise:

  • Es ist wohl nicht erfolgversprechend und auch nicht erforderlich, den Angreifer auf die eigenen Kampfkunstkenntnisse hinzuweisen.
  • Wenn der Angreifer in Notwehr verletzt und geschädigt worden ist, kann er vom Angegriffenen keinen Schadensersatz z. B. für Arztkosten, Verdienstausfall oder zerrissenen Kleidung verlangen (vgl. §227 BGB).
  • Wenn der Verteidiger aus Verwirrung, Furcht oder Schrecken zu weit geht und die Grenzen der Notwehr überschreitet, wird er nicht bestraft (§33 StGB, sog. Privileg des Angsthasen).
  • Wenn der Angreifer nach dem Kampf ärztliche Hilfe braucht und es möglich und zumutbar ist, einen Arzt zu rufen, muss das geschehen, aber nicht unbedingt durch den Angegriffenen selbst.
  • Anders als nach einem Verkehrsunfall muss man nach einer Schlägerei nicht warten, um die Feststellung der Personalien zu ermöglichen; gegenüber Polizeibeamten muss man die Personalien auf Anforderung angeben. Wer nach der Selbstverteidigung weggeht, erspart sich vielleicht eine Menge Zeit und Ärger und verringert das Risiko, dass der Angreifer im Laufe eines Strafverfahrens Namen und Anschrift erfährt und für Racheakte nutzt.
  • Bei einer Vernehmung (als Zeuge und/oder als Beschuldigter) sollte man jedenfalls klarstellen, dass der andere angegriffen hat und dass man sich dagegen gewehrt bzw. (bei einem Angriff auf einen Dritten) den Angegriffenen verteidigt hat. Inwieweit man ohne Rechtsanwalt darüberhinausgehende detaillierte Angaben machen sollte, hängt vom Einzelfall ab. Oft kann ein Laie gar nicht einschätzen, wie seine in der ersten Aufregung gemachten Angaben später juristisch gewürdigt werden. Recht haben und Recht bekommen ist nicht immer das Gleiche. Für die Polizei, die Staatsanwaltschaft und – falls es zu einer Anklage kommt – für das Strafgericht ist es oft schwierig, den genauen Tathergang zu rekonstruieren. Zeugen können voreingenommen sein oder den Vorfall nur teilweise mitbekommen, z. B. den Angriff gar nicht gesehen haben.

Auf jeden Fall solltest Du folgendes beherzigen:
Einen Kampf zu vermeiden ist nicht feige, sondern klug.

Nachtrag

Einer unserer Wing Tsun Schüler, der im Sicherheitsdienst tätig ist, sprach uns darauf an, dass auch die Möglichkeit der Flucht vom Verteidiger in Betracht gezogen werden sollte. Er erwähnte einen Fall, wo jemand wegen Körperverletzung verurteilt wurde, mit der Begründung, er hätte ja auch flüchten können.

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